Symbole und Farben
in Kaukasischen und alpinen Teppichen
13. September – 19. Oktober Merkantilmuseum Bozen
Seit Jahrhunderten sind die archetypischen Symbole der webenden Völker Ausdruck von Kultur die verbindet. In allen Ländern der Erde sind vertraute Zeichen in Textilien eingewebt, die für Menschen unterschiedlicher Kulturkreise von großer Bedeutung sind. Der über die Jahrhunderte erfolgte Kulturaustausch und Handel zwischen den Völkern prägten die gegenseitigen farb-, muster- und stilprägenden Einflüsse. Mit der Ausstellung der schönsten Exemplare azerbaijdschanischer Flachgewebe aus der Südtiroler Privatsammlung WINCOR und den „Defregger“ Teppichen aus dem Pustertal wird dieser Einfluss von Muster und Farben deutlich sichtbar.
Flachgewebe aus Azerbaijan
Das Sammeln von antiken Teppichen ist eine Leidenschaft. Mit dem Erscheinen der vermutlich ersten Publikation über Teppiche von Julius Lessing vor 150 Jahren entwickelte sich das Sammeln besonders im Westen und auf beiden Seiten des Ozeans. Im Merkantilmuseum in Bozen sind erstmals Kilims und Flachgewebe aus Azerbaijan aus der Südtiroler Privatsammlung WINCOR zu sehen. Diese außergewöhnliche Sammlung hebt sich vor allem durch ihren künstlerischen und ästhetischen Wert hervor. Wichtig und von großem Interesse ist außerdem der ethnografische Hintergrund, die Vielfalt und Schönheit der Kompositionen und Farben sowie die technische Umsetzung auf Flachwebstühlen. Die Entdeckung des Kilims als Sammelobjekt, die Muster und Symbole wie auch bei manchen der Entstehungsort geben den teils großflächigen Teppichen den Namen.
Zu der Ausstellung zu der WINCOR Sammlung ist die Publikation „Azerbaijan Flatweaves“ erschienen.
Die „Defregger Teppiche“ aus dem Pustertal
Die Herstellung der Pustertaler Teppiche (später durch den Wanderhandel Defregger Teppiche genannt) war ein blühender und mitunter sehr einträglicher Erwerbszweig der Pustertaler Weber ab dem 15. Jahrhundert. Diese so genannten “Defregger Teppiche” waren grobe, anfangs aus Kuhhaar später aus Wolle gefertigte Decken, die vor allem in St. Sigmund, Sonnenburg bei St. Lorenzen, Bruneck, Sand inTaufers, Welsberg und Silian hergestellt wurden. Als herausragendes Beispiel dient die Ortschaft St. Sigmund bei Kiens. Bereits 1507 errichtete Leopold Wieser die erste Webstube im Obermairhaus (Stöffelweber). Bald kamen auch viele Weberknechte, Webermeister oder Spinnerinnen in das kleine Dorf. Das Rohmaterial für die Teppiche und Decken (damals „Kotzen“ genannt ,aus dem lateinischen „cottun“) waren Tierhaare: Kälber-, Rinder-, Ziegen- und Bockhaare. Im Frühjahr reiste der Deckenhersteller durch Tirol, Kärnten und Salzburg zu den Färbern, um mit Ihnen Lieferungsverträge für den Herbst abzuschließen. Das Spinnen der Haare war meist eine Heimarbeit der Frauen in St. Sigmund, Terenten und Obervintl. Noch heute wird ein Weg nach Terenten „Kotzensteig“ genannt, weil auf diesem Weg das in Terenten gesponnene Garn an die zehn in St. Sigmund arbeitenden Weber abgeliefert wurde. Die fertige Ware wurde zumeist an Großhändler (Ladstätter, Kleinlerchner, Donninger in Wien, bzw. Brünn, Salzburg, Linz und Klagenfurt) oder an die Defregger Wanderhändler, abgegeben. Wie groß der Jahresumsatz war, geht daraus hervor, dass z. B. Andrä Putzer, vulgo Walser, im Jahre 1865 allein 5.300 Decken verkaufte, doch klagt er dass schon damals das Geschäft immer mehr ins Stocken gerate. Die Jahrzehnte zwischen 1700 und 1840 kann als Blütezeit bezeichnet werden; 1805 wurden 10.000, 1830 wurden 25.000 Teppiche produziert, um 1880 sank die Zahl auf 2.500. Die Bezeichnung „Defregger Teppiche“ erhielten sie durch die Deferegger, die als Wanderhändler diese Decken in Deutschland, Holland, Italien, Frankreich, Polen und auch am russischen Zarenhof in St. Petersburgvertrieben.
Diese Gewebe wurden ausschließlich auf meist drei- bis fünfschäftigen Schaftwebstühlen hergestellt. In den aus einer Leinenkette und bunten Kuhhaaren, später aus Wolle bestehenden Schussgarnen wechselten sich Streifen verschiedener Breite in Grün, Gelb, Blau und Rot ab. Bis zu sechzehn verschiedene Farben finden sich in einem Teppich. Darin sind sich wiederholende Motive wie Bäume, Sterne, Blüten und verschiedene Tiere eingewoben. Diese archetypischen Symbole und Motive haben die alpinen Flachgewebe mit den kaukasischen gemeinsam, Zeugnis eines regen Kulturaustausches und Handels zwischen den Völkern, der die Farb-, Muster-und Stilelemente prägte.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Kunsthandweberei in zwei Tälern, auf die sie noch heute fast ausschließlich konzentriert ist: im Pustertal und im Gadertal. Den Beginn machte Georg Kaneider aus Onach (1864–-1911), der in Lüsen bei Brixen das Weberhandwerk lernte und als Stipendiat in die Webfachschule Schluckenau/ Böhmen kam. Er war es, der den bis dahin in Südtirol unbekannten Jacquardwebstuhl mitbrachte und somit die Kunsthandweberei in Südtirol begründete. Seine Werkstatt übernahmen nacheinander die beiden Sudetendeutschen Franz Ulbrich und Josef Franz, bis sie in Bruneck eigene Betriebe gründeten, die heute weitum bekannt sind.
Eine Ausnahmeerscheinung stellt zweifelsohne der Enneberger Weber Alois Gasser dar, der 1927 nach Sonnenburg bei St. Lorenzen zog und es zu einer beachtlichen Meisterschaft auf dem Musterwebstuhl brachte. Seine nach eigenen Entwürfen und später auch nach Entwürfen Anton Hofers gewobenen Stoffen sind Höhepunkte der Pustertaler Kunstweberei. Seine Motive zeigen große Ähnlichkeit mit den Deferegger Decken des 17. und 18. Jahrhunderts. Für die kreative Umsetzung seiner Ideen wurde Alois Gasser an der Exposition internationale des Arts décoratifs et
industriels modernes 1925 in Paris mit einer Silbermedaille ausgezeichnet.
Sein Sohn Hermann Gasser setzte die Arbeit des Vaters fort, bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ließ er seine Garne von der im selben Dorf ansässigen Färberei färben.
Die „ Die Defregger Wanderhändler“
Der Weg, der die Bewohner des abgeschiedenen Hochgebirgstales von Bauern zum Wanderhändler und schließlich zum Kaufmann und Fabrikanten führte, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.
Ein Erklärungsansatz dafür, warum ausgerechnet die Defregger im Osttirol auf den Wanderhandel kamen könnte in den besonderen politischen Verhältnisse des Tales liegen, denn von 1207 bis 1814 war das Defreggen in zwei politische Einflusssphären geteilt. Das Innere des Tales gehörte bis 1500 zum Herrschaftsgebiet der Grafen von Görz, anschließend zur fürstlichen Grafschaft Tirol. Der äußere Teil war Teil des selbständigen Fürst-Erzbistums Salzburg mit dem zuständigen Pflegegericht Windisch-Matrei. Kirchlich unterstand das gesamte Defreggen dem Erzstift von Salzburg. Im 16. Jahrhundert war das Defreggen noch recht dünn besiedelt. In der Mitte des 16. Jahrhunderts fand in Zusammenhang mit dem Bergbau eine Zunahme der Bevölkerung statt, die eine Teilung der Güter erforderlich machte. Die hohen jährlichen Grundzinsen verschlimmerten die ohnehin schwierige Lage der Bauern, die kargen Ackerböden zu bearbeiten.
Um das Überleben zu sichern, waren die Defregger gezwungen sich etwas dazu zu verdienen. Die Möglichkeit dazu bot einerseits der Bergbau, andererseits der Hausierhandel. Mit dem Niedergang des Bergbaus im Laufe des 17. Jahrhunderts führte dies dazu, dass ein Großteil der Männer im Winter auf Wanderhandel ging.
Zunächst unterwegs vor allem im süddeutschen Raum kamen sie mit dem lutherischen Gedankengut in Berührung und dürften Bücher über die neue Lehre in die Heimat mitgebracht haben. Auch ein Einfluss von dem im Tal tätigen protestantischen Bergleuten könnte dazu beigetragen haben, dass die neue Lehre im Defregger Tal auf fruchtbaren Boden fiel, insbesondere da der Klerus alles andere als vorbildlich war.
Die harte Haltung des Salzburger Erzbistums gegenüber den Defregger Protestanten führte zur Ausweisung. Bis zum Juli 1685 emigrierten aus dem salzburgischen Teil Defreggens beinahe sechshundert Personen wobei zweihundertneundachtzig Kinder zurückgelassen werden mussten. In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts begannen die Defregger Händler die Teppiche und Decken, die sie auf den Märkten im Pustertal kennengelernt hatten, zu verkaufen. Nach den Anfangserfolgen erkannten die Händler rasch das Potential und gründeten Handelskompanien für die jeweiligen Handelsgebiete. Die Handelsgebiete erstreckten sich in der Hochblüte gegen Ende des 18. Jahrhunderts über Belgien und Holland, England aber auch Richtung Linz, Wien und Ungarn bis nach Großwardein und Temesvar (Rumänien). Andere wiederum verkauften von Prag weiter nach Obersachsen, Lüneburg, Hamburg und Lübeck. Von dort wurden die Waren auf der baltischen See nach St. Petersburg geschifft. Dort handelte eine Kompanie von acht Mann und die Defregger Ware fand in mehreren russischen Statthalterschaften guten Absatz. Sogar die russische Kaiserin Katharina II. hat einem Defregger “seine Teppiche in Pausch abgenommen”. Einige handelten auf der Balkanhalbinsel und kamen in Vorderasien bis Erserum. Die Brüder Santner-Ladstätterische Kompanie arbeitete in Südtirol und in Italien bis nach Sizilien, einige erreichten sogar Amerika.
Kulturtransfer
Der durch die weitläufige Handelstätigkeiten der Defregger Wanderhändler mit den Pustertaler Decken in vielen Ländern erfolgte Kulturaustausch und Handel prägte die gegenseitigen farb-, muster- und stilprägenden Einflüsse. Die Ausstellung zeigt im Spannungsfeld zwischen kaukasischen und Pustertaler Flachgeweben die verschiedenen Interpretationen übernommener Motive und deren textiltechnischen Verarbeitung. Obwohl die Herstellung der Pustertaler Decken über Jahrhunderte ein tragendes Element der Pustertaler Textilwirtschaft war, ist sie vollkommen in Vergessenheit geraten.